Arbeiten in des Kaisers alten Kleidern.

Ob geschredderte Jeans, wiederverwendete Stiegengeländer oder zu neuem Leben erweckte Fabrikshallen: Kreislaufwirtschaf t spart Energie, Ressourcen und CO2-Emissionen und schafft unverwechselbare Atmosphäre. Warum ist das nicht längst schon zum Standard geworden?

Kvadrat Really, ein Spin-off des dänischen Textilkonzerns Kvadrat, schreddert alte Jeans, T-Shirts und Bettwäsche und verpresst diese zu ressourcenschonenden Schreibtischplatten. Honext, zu Hause am Stadtrand von Barcelona, hat eine Zusammenarbeit mit den lokalen Abfallwerken und verarbeitet den aufbereiteten Altpapierschaum zu hochverdichteten Platten, die im Trockenbau als Alternative zu Gipskarton verwendet werden können. Und das österreichische Start-up Hempstatic bezieht Hanffasern, ein Abfallprodukt aus der Lebensmittelproduktion, um diese zu biologisch abbaubaren Akustikpaneelen für den Büro und Objektbereich weiterzuverarbeiten.

„Bei der Gewinnung von Hanfsamen und Hanföl fällt eine Menge Abfall an“, sagt Elena Yaneva. Gemeinsam mit ihrem Partner Igor Fekete hat die ausgebildete Bauingenieurin das Weinviertler Startup vor drei Jahren aus der Taufe gehoben. „Eine Winwin-Situation für alle Beteiligten, denn die Bauern ersparen sich die Entsorgung, und wir bekommen wertvollen Rohstoff für unser Produkt.“ Nach dem Häckseln werden die Hanffasern mit Kalk, Wasser und natürlichen Klebstoffen zu vierund sechseckigen Hempstatic-Tafeln aufbereitet. Dank ihrer porösen Oberfläche und ihrem hohen spezifischen Gewicht von bis zu 300 Kilogramm pro Kubikmeter sind sie perfekte Schallabsorber.

Doch nicht nur im Recycling, auch im Bereich Reuse und Urban Mining wird der Office-Bereich ordentlich auf den Kopf gestellt: Auf der Place Masui im Norden Brüssels wurde eine ehemalige Druckerei in Büros und Werkstätten für die sozial-künstlerische Organisation Zinneke umgebaut.

In enger Zusammenarbeit mit dem Bouwmeester Maître d’Architecture – einer Art Stadtbaumeister, der im Namen von Bauherren geladene Wettbewerbe auslobt und dabei auf Innovation, Qualitätsstandards und Einbeziehung der Next Generation Wert legt – ist es gelungen, die alte Bausubstanz zu erhalten und das Haus als eine Art Rohstofflager für die bevorstehende Sanierung zu verwenden.

Ob Fenster, Türblätter, Türzargen, Bodendielen, Stahlwinkel, Holzleisten oder ganze Treppenläufe: Alle Bauteile wurden behutsam ausgebaut, gereinigt, repariert, adaptiert und am Ende an anderer Stelle, in neuer Konstellation wiedereingebaut. Auf diese Weise ist es gelungen, 94 Prozent der historischen Gebäudemasse zu erhalten. Weitere Bauteile wie etwa Radiatoren, Stahlträger, Stiegengeländer, Mineraldämmwolle und sogar 300 Quadratmeter Eichenparkett wurden aus nahe gelegenen Baustellen zusammengetragen und verleihen der neuen Zinneke-Werkstatt eine Art rotziges Flair. „Wir beschäftigen uns sehr stark mit der urbanen Entropie“, sagt Renaud Haerlingen, Co-Gründer des zuständigen, interdisziplinären Planungskollektivs Rotor, das sich schon vor vielen Jahren auf Reuse und Recycling spezialisiert hat, „mit der Ungleichheit zwischen Alt und Neu, zwischen Groß und Klein, zwischen System und Singularität, zwischen Austauschbarkeit und Unverwechselbarkeit.“ Und ergänzt: „Alte, bereits verwendete Baustoffe haben Patina, Identität und Gebrauchsspuren voller Geschichte. Im Neubau ist so eine Qualität kaum zu erzielen. Zudem ist dies ein Bekenntnis zu einem ressourcenschonenden und emissionsreduzierenden Bauen. Das ist die Zukunft.“

Ähnliche Unternehmen gibt es auch in anderen Ländern. Dazu zählen etwa Concular (Stuttgart), Bellastock (Paris), das baubüro in situ (Basel), die internationalen Plattformen Harvest Map und Bauteilnetz sowie die beiden österreichischen Initiativen BauKarussell und Materialnomaden. Obwohl der Einsatz von ausgebauten Baustoffen und Bauprodukten rechtlich immer noch komplex ist, weil ein Bauteil im Moment seiner Demontage de jure automatisch zu Bauschutt und Sperrmüll mutiert, ist das Engagement all jener, die sich der Kreislaufwirtschaft verschrieben haben, nicht zu stoppen.

„Früher wurden alte Gebäude abgerissen, indem man alles zerschlagen und abtransportiert hat, um am Mistplatz noch ein paar wertvollere Stoffe aus dem Schuttberg herauszuklauben“, sagt Thomas Romm, Architekt und Gründer des 2017 gegründeten Projektkonsortiums BauKarussell. „Das ist ein mühsames, schmutziges Geschäft, alles andere als sinnvoll und effizient. Stattdessen haben wir uns darauf fokussiert, die wertvollen Baustoffe dem Gebäude schon vor Ort zu entnehmen. Das spart nicht nur Abfall und Entsorgungskosten, sondern reduziert auch die Anzahl an Lkw-Fuhren, verbrauchtem Diesel und letztendlich auch CO2-Emissionen.“

Zu den bekanntesten Urban-Mining-Projekten von BauKarussell zählen das alte Coca-Cola-Werk an der Triester Straße in Favoriten, das Ferry-Dusika- Stadion in der Leopoldstadt, das Rechenzentrum der Stadt Wien in der Rathausstraße, die ehemalige Reininghaus-Brauerei in Graz sowie diverse Schulen und Krankenhäuser. Je nach Zustand des Gebäudes kommt einiges an materiellem Wert zusammen: Hochwertige Baustoffe wie etwa Aluminium, Kupferdrähte, Türen, Türzargen, Beschläge, Parkettböden, Brüstungen, Geländer oder historische Zementkacheln werden sortenrein getrennt, gereinigt, repariert auf Halde gelegt – und im besten Falle weiterverkauft.

Ein solcher leidenschaftlicher Käufer beispielsweise ist Olaf Grawert, Architekt und Partner im Berliner Büro b+. Zu seinen beliebtesten Reuse-Objekten für Büros, Wohnungen und Kulturbauten aller Art zählt das legendäre Keramikwaschbecken von Luigi Colani, hergestellt von Villeroy & Boch in den Jahren 1970 bis 1979. „Das ist eine der berühmtesten Badkeramiken des 20. Jahrhunderts, tausendfach produziert, doch irgendwie will die heute niemand mehr haben, weil sie die meisten für hässlich halten“, erzählt Grawert im Interview. „Wir nicht. Wir finden in genau diesem Ungeliebten, Ungewollten, oft Unterschätzten eine Ästhetik, die wir erhalten wollen – nicht nur zugunsten der Kreislaufwirtschaft, sondern auch in Hinsicht auf Kultur und Baugeschichte.“

Dazu gehört auch, dass Grawert mit seinem Büro b+ die Berliner Innenstadt verlassen und vor drei Jahren einen alten Industriebau bezogen hat. Am Gewerbeareal Lichtenberg im Berliner Osten wurde 1987 – bloß zwei Jahre vor der Wende – eine Fabrik für die VEB Elektrokohle errichtet. Die Stahlkonstruktion der Hochofen-Halle ist längst abgetragen und weiterverwertet, die beiden Treppen- und Silotürme jedoch blieben als betonierte Zeitzeugen erhalten. In einem davon – 42 Meter hoch, 199 Stufen bis ganz nach oben – befindet sich heute die Studiowerkstatt von b+, mit einer spektakulären Aussicht bis zum Tiergarten, zur Museumsinsel, zum Fernsehturm am Alexanderplatz.

"38 Prozent der globalen CO2-Emissionen und 36 Prozent des Mülls sind auf den Gebäudesektor zurückzuführen", sagt Olaf Grawert.„Das geht so nicht weiter. Wir müssen es schaffen, dass Politik, Wirtschaft und Bauindustrie endlich umdenken, dass Reuse und Recycling nicht die Ausnahme bleiben, sondern zur Regel werden.“ Damit dies gelingen kann, startete b+ mit der ETH Zürich und einem ganzen Bündel an Institutionen, Architektinnen und Architekten und politischen Testimonials vor Kurzem die EU Bürgerinitiative „HouseEurope!“, die kürzlich sogar mit dem OBEL Award ausgezeichnet wurde. Bis Jänner 2026 will die Initiative eine Million Unterschriften sammeln und auf diese Weise das Thema „Umbau statt Abriss“ auf die politische Agenda zwingen – mit dem Ziel, dass das EU-Parlament gesetzliche Rahmenbedingungen für Kreislaufwirtschaft erarbeitet.

Wojciech Czaja

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