Arbeitswelten im Kulturschock.
Magazin Contact #29
Monsieur Hulot irrt durch die Korridore und versteht die Welt nicht mehr. Wie in einem futuristischen Ameisenhaufen rennen die Angestellten im Stechschritt von A nach B, die Aktenordner vor sich hertragend, die Zettel hektisch aus dem Schreibmaschinenlager reißend, die gesamte Kollegenschaft im Äther der Anonymität links liegen lassend. In der 22. Minute schließlich landet der Herr mit Mantel, Hut und Regenschirm auf einer gläsernen Empore und blickt auf die vielen kleinen Cubicles hinunter, die sich ins kollektive Gedächtnis der Filmgeschichte eingebrannt haben. Die 1967 erschienene Kinosatire „Playtime“ des französischen Filmregisseurs Jacques Tati ist eine Kritik an der Moderne sowie an der zunehmend charakterlosen Gestaltung unserer Wohn- und Arbeitsräume.
Heute sind die grauen und beigen Open-Space-Einheitswürfel, wie die Büroszenen in vielen US-amerikanischen Spielfilmen immer wieder eindrücklich unter Beweis stellen, vorwiegend im Wirtschafts- und Finanzsektor zu finden. Die schulterhohen Trennwände ermöglichen einerseits ein konzentriertes Arbeiten in einer gewissen Privatsphäre mit akustischem Schutz und ohne Bildschirmblendungen, andererseits kann man sich im Stehen dennoch einen aufschlussreichen Über- (und Kontroll-) Blick über seine Mitarbeiter verschaffen.
Doch auch in der Architektenschaft lassen sich einige überraschende und mitunter schockierende Arbeitssituationen finden. Der japanische Shooting-Star Junya Ishigami sitzt mit seinem Team in einer ehemaligen Diskothek in Roppongi, mitten im Tokioter Dickicht, in einem 400 Quadratmeter großen Kellerraum ohne Ausblick. „Als ich mein Büro gegründet habe, musste ich mich entscheiden: kleines Büro mit Aussicht oder großes Büro ohne Aussicht? Aber ich gebe zu: Auch wenn man als Architekt viel Fantasie und ein sehr gutes räumliches und atmosphärisches Vorstellungsvermögen hat, sehnen wir uns alle nach einem Büro mit Fenster. Wir wollen endlich den Himmel sehen.“
In Europa und in Nordamerika wiederum ist das Büro-Layout meist Ausdruck der eigenen Kultur und Firmenphilosophie: Bei Christoph Ingenhoven in Düsseldorf sitzen die Mitarbeiter an einer mittig positionierten, Dutzende Meter langen Schreibtischtafel. Im Pariser Büro von Lacaton & Vassal, einer alten Fabrikhalle mit Betonboden, wird den Orchideen im Gewächshaus mindestens so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie den Menschen. Und bei Hermann Czech in der Wiener Innenstadt verschwindet man buchstäblich hinter Bücherstapeln und zum Bersten vollgeräumten, mit gläsernen Türen bestückten Regalen bis zum Plafond.
Wojciech Czaja